Sparsamkeit kann ziemlich teuer werden

Sparen ist nichts verwerfliches – wir alle versuchen mit dem, was wir haben, sparsam umzugehen. Auch Sprache lässt sich sparsam einsetzen – „in der Kürze liegt die Würze“, sagt schon der Volksmund. Nur: sowohl beim Würzen als auch beim Kürzen ist das richtige Maß entscheidend, und es bedarf oft nur einer Winzigkeit und das Maß ist überschritten.

Abkürzungen – wie das Wort schon sagt – dienen der Verkürzung der Sprache. Wichtig nun ist, dass der Empfänger der „abgekürzten“ Botschaft dieser die selbe Bedeutung beimessen kann wie es deren Sender getan hat. Ob der Empfänger der Botschaft das kann, muss der Sender der Botschaft entscheiden, d.h. er muss den Empfänger und dessen Begriffsvermögen kennen oder er muss sich darauf verlassen können, dass seine Botschaft so allgemeinen (Sprach‑)Konven­tionen genügt, dass er deren Verständnis auch bei einem ihm unbekannten Empfänger voraussetzen darf. Soweit die Theorie.

Der Blick auf die Praxis macht deutlich, worin das Problem besteht. „Unser Angebot erstreckt sich nicht auf die SU“. Dieser Satz stammt nicht etwa von einem Nostalgiker, der den Untergang der Sowjetunion nicht wahrhaben will, sondern findet sich in einem völlig normalen Angebotsschreiben einer Baufirma. In die „Langform“ übertragen lautet er: „Unser Angebot erstreckt sich nicht auf die Sonderunterstützungen“. Versteht der Empfänger des Schreibens das? Möglich, aber nur dann, wenn es bereits vorher Kontakte zwischen Sender und Empfänger gab und sie dabei solche „Kürzel“ benutzt haben oder wenn es sich um eine interne Kommunikation zwischen Kollegen handelt, die mit solchem „Firmenjargon“ vertraut sind. Eignet sich solche Art Sparsamkeit für die Kommunikation nach außen, wie sie ein Übersetzen z.B. ins Englische letztendlich darstellt? Kaum. Selbst ein Fachkollege in einer anderen deutschen Baufirma wird schon die deutsche Version ohne Erläuterungen nur schwer verstehen. Und einmal unterstellt, der Auftraggeber beauftragt mit der Übersetzung jemanden, der das Englische zwar beherrscht, aber vom Übersetzen keine Ahnung hat, dann ist das folgende Worst-Case-Scenariodurchaus vorstellbar:

Der „Übersetzer“ kennt oder erfährt auf andere Weise die wirkliche Bedeutung „Sonderunterstützungen“, überträgt das ins Englische („Special Supports“) und meint nun, der Autor wird sich beim Abkürzen schon etwas gedacht haben, d.h. er ahmt ihn nach und verkürzt das ganze in seiner Unbedarftheit zu „SS“. Der Empfänger des Schreibens wiederum interpretiert „SS“ als die in der Branche übliche Abkürzung für „Stainless Steel (Edelstahl)“ und verwirft das Angebot, weil es „ohne Edelstahlkomponenten“ für ihn nicht attraktiv ist.

Finden Sie, das Beispiel sei an den Haaren herbeigezogen? Zumindest in unserer täglichen Übersetzungspraxis vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht zur Sicherheit beim Auftraggeber zu vermeintlich gängigen Abkürzungen oder anderen, für Außenstehende leicht misszuverstehenden For­mulierungen Rückfragen stellen. „Bitte schicken Sie uns Angaben zum PVC“ – der Verfasser des Schreibens meinte nicht etwa den Kunststoff Polyvinylchlorid, sondern den relativen Feststoffgehalt einer Suspension („Particle Volume Content“). Es ehrt den Übersetzer, wenn der Auftraggeber ihn zu seinem Inner Circle derer zählt, mit denen er in einer für Dritte kaum verständlichen Kürzelsprache kommuniziert. Das mag dann sogar gerechtfertigt sein, wenn Übersetzer und Auftraggeber ihre jeweiligen sprachlichen Gewohnheiten in einem längeren Prozess verstehen gelernt haben und wenn der Übersetzer – im Idealfall – „vom Fach“ ist, schützt aber auch dann nur bedingt vor teuren Missverständnissen.

FAZIT: Der (externe) Übersetzer kennt – bei allem Sach- und Fachverstand, der einen Profi auszeichnet – i.d.R. nicht die Vorgeschichte oder das Umfeld zu dem Ausschnitt, den er als Botschaft zum Übersetzen auf den Tisch bekommt. Er weiß oft auch nicht, welche sprachlichen Konventionen zwischen Sender und Empfänger der Botschaft bereits bestehen. Deshalb gilt für ihn: besser einmal zuviel als einmal zu wenig zurückgefragt. Es ist für den Übersetzer immer hilfreich, wenn er die Langform einer Abkürzung kennt, weil er dann z.B. grammatikalische Irrtümer vermeiden (der, die oder das SU?) bzw. entscheiden kann, ob eine Abkürzung unverändert in die Übersetzung zu übernehmen ist oder nicht. Der kompetente Auftraggeber weiß, dass der Übersetzer keine Buchstaben oder Wörter „übersetzt“, sondern er die Bedeutung einer Formulierung erfassen muss, und ist durch Rückfragen nicht genervt, sondern wertet diese als professionelles Herangehen.Und bedenken Sie als Auftraggeber auch eines: Sie haben aus gutem Grund eine Hausbank, einen Hausarzt – warum also nicht auch einen Hausübersetzer? Das ständige Wechseln zu anderen, die Sie nicht kennen, nur deshalb, weil diese im konkreten Einzelfall vermeintlich billiger sind, kann sich unterm Strich als ziemlich kostspielig erweisen, langfristige Bindungen hingegen tragen in jedem Fall Früchte.

Wenn Sie als Auftraggeber das beherzigen,
dann klappt es auch mit dem Übersetzer!